Jonas Lüscher „Frühling der Barbaren“ | C.H. Beck Verlag

Ein unmoralisches Angebot

Jonas Lüschers Erstling „Frühling der Barbaren“ behandelt den Verlust von Moral in den entarteten wirtschaftspolitischen Entwicklungen. Für einige endet alles in der Barbarei und an den komplexen Zusammenhängen scheitert selbst der Autor.

Preising, ein vermögender Schweizer Fabrikbesitzer, spaziert mit einem Mitinsassen durch den Park einer psychiatrischen Klinik. Hier breitet er seine Geschichte des „Frühlings der Barbaren“ aus, den er in Tunesien erlebt hatte. Doch wie und weshalb und durch wen war er in der Klinik gelandet? Vielleicht durch seinen Geschäftsführer Prodanovic? Der junge, tüchtige Bosnier hat seine Firma zu einem international erfolgreichen Unternehmen gemacht und nimmt es nicht so genau mit den Arbeitsbedingungen in Tunesien, wo ihre Produkte zusammensetzt werden. Es sei eben „viel schwieriger, als dies gemeinhin der Gutmensch gerne hätte“ und Kinderarbeit, von der wir hier reden, „sei unter Umständen das kleinere Übel“, so wurde Preising irgendwann belehrt. Moral kann sich sein Geschäftsführer nicht leisten, die Zahlen müssen stimmen. Preising, der dem Unternehmen nur noch als Imageträger vorsteht und dessen Liberalismus ein „Relativismus von der handwarmen Art eines Kinderbeckens“ war, entschied dann eben gemäss einer historischen Tugendlehre von Fall zu Fall, wie er die Welt sehen wollte. In Tunesien, wohin ihn Prodanovic in die Ferien schickte, empörten ihn die „schmalen runden Kinderrücken“ zwar, handeln musste er aber schon lange nicht mehr, er redete lieber. Hierbei konnte er sich seiner Leidenschaft hingeben, dem Gebrauch längst ungebräuchlicher Worte.

Der erste Schauplatz in Lüschers Novelle ist damit eröffnet. Teilnahmslos und unaufgeregt wird berichtet. So wie später der Nachrichtensprecher aus London, als das Pfund am Boden und England bankrott ist und die reichen und schönen Banker in der tunesischen Oase, märchenhaft wie Tausenduneine Nacht und nach dieser benannt, plötzlich mausarm sind und zu Barbaren werden: Ein Einheimischer wird im Swimming Pool ertränkt, ein Kamel und ein paar Hunde aufgeschlitzt, und dazu wird Bier gesoffen. Schauplatz Nummer zwei.

Die Barbarei, so haben wir aus dem nicht enden wollenden Zitat Franz Borkenaus zu Beginn des Buches erfahren, sei auch ein Weg in die Erneuerung. Doch was für eine Erneuerung? Verliert oder gewinnt man viel, scheint alles erlaubt und keine Moral besitzt mehr Gültigkeit. Zwar stehen im Zitat Borkenaus auch hoffnungsvollere Worte wie „doch wir können sicher sein, dass die Früchte der Zivilisation und Kultur in irgendeiner Form überleben werden“, doch die „kulturelle Primitivität, ein Zurückdrehen der Uhr“, scheint dem Geschehen im Buch – und wieso nicht auch in der Realität – um einiges näher zu stehen. Die vielen Stimmen in Lüschers Novelle machen da wenig Hoffnung. Da redet Preising, der Mitinsasse sowie ein allwissender Erzähler. Doch keiner klagt an. Es wird kommentiert. Es wird hingenommen. Es ist alles irgendwie moralisch vertretbar, erklärbar. Sie dozieren wie „Bankdirektoren, die Gewinnziele bekannt gaben“, „Investmentgurus, die mit Headsets ausgestattet Erfolgsrezepte ins Auditorium warfen“, „Professoren, die ihnen mathematische Modelle erklärten“. Und Lüscher? Er macht es genauso. Zwei brisante Schauplätze, Namen, die nicht mehr im kulturellen Gedächtnis oder gar im Wortschatz vorhanden sind. Hierüber wird also eine Narration in Form einer Novelle produziert. Weniger wäre mehr gewesen und tiefgründiger. Da möchte man doch lieber der Rezitation eines Gedichtes lauschen.
Titel: Frühling der Barbaren
Autor: Jonas Lüscher
Verlag: C.H. Beck, München
Seiten: 125
Erscheinungsjahr: 2013
Preis: CHF 21.90

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